Offener Brief
Münster, 16.06.03
An
Herrn Bundespräsident. Johannes Rau.
Präsidialamt. Speerweg 10.
D-10557 Berlin
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
ich habe Ihre Rede, die sie kürzlich aus Anlass des Gedenkens der Ereignisse in
Solingen gehalten haben, aufmerksam verfolgt und bin überzeugt davon, dass alle
denkenden Bürger unserer Welt Ihren Worten zustimmen werden. Nicht umsonst
wird gesagt, dass die Bundesrepublik seit Ihrem Amtsantritt einen Präsidenten habe,
der für Menschenrechte, Menschenfreundlichkeit, den Frieden und die Liebe zwischen
den Menschen stehe. Und, Ihre Worte, „Hass tötet, Liebe lässt leben…“, die ein Teil
Ihrer Rede waren, werden als philosophischer Satz von Generation zu Generation
übertragen werden. Ihr Wirken als Bundespräsident wird demnach zu Recht als
vorbildlich in der Erinnerung des gesamten Volkes bleiben.
Wir alle wissen, dass die Vorfälle in Solingen und Mölln vor zehn Jahren, nicht die
ersten und nicht die letzten dieser Art gewesen sind. Daher können Reden, wie die
von Ihnen,über Liebe und Freundschaft zwischen den Kulturen und ihren Menschen,
ein wichtiger Schritt sein, solche Vorfälle zu verhindern.
Jedoch kann Liebe zwischen den Kulturen nicht nur bedeuten, den anderen nicht
anzugreifen, sondern den unterschiedlichen Gedanken, den sich unterscheidenden
Hautfarben, der Vielfalt der Glaubensrichtungen und kulturellen Ursprünge mit
Respekt zu begegnen.
Um dieses zu erreichen, gab es in den vergangenen Jahren zu recht finanzielle
Mittel, um das Miteinander von Menschen aus verschiedenen Kulturen zu fördern.
Seit einiger Zeit jedoch wird diese notwendige Förderung leider immer mehr, was
die in Deutschland lebenden nicht EU-Migranten betrifft, zurückgefahren und dadurch
die Bildungs- und Integrationsmöglichkeiten für diese Menschen stark begrenzt.
Gerade die Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten für nicht EU-Ausländer – und
hier aufgrund ihrer Bevölkerungs-stärke die türkischstämmigen Ausländer – sind
aufgrund zusammengestrichener finanzieller Mittel fast abgeschafft worden. Um die
Gettoisierung und Isolierung dieser Bevölkerungs-teile zu verhindern, bedarf es
gerade dort der finanziellen Unterstützung, wo Organisationen und Vereine, sich
nachhaltig für deren Belange einsetzen.
In diesem Zusammenhang möchte ich anmerken, dass die Unterstützung von Migranten
und Flüchtlingen oft nur „auf dem Papier“ vorhanden ist. Tatsächlich aber kommt
diese finanzielle Unterstützung nicht den Migranten selbst, sondern vielmehr
(bis zu 80%!) deutschen Großverbänden und Instituten zugute. Diese
Organisationen „dekorieren“ dann ihre Jahresprogramme nur noch mit dem Thema
„Migranten“.
Man kann durch ein Wissenschaftliche vorschung feststellen, dass Flüchtlinge und
Ausländer aus nicht EU-Ländern, die an Sprachkursen oder Maßnahmen zur
Berufsorientierung teilgenommen hatten, meisten nach drei Jahren noch keine drei Worte
auf Deutsch richtig schreiben, geschweige denn, eine Schraube in die Wand drehen
oder einen Knopf ans Hemd nähen konnten.
Gleichwohl lassen die Behörden die Migrationsarbeit in der Verantwortung von
Großverbänden und Instituten, die sich überwiegend aber nachlässig um
Flüchtlinge und Ausländer aus nicht EU-Ländern kümmern. Das führt dann
zwangsläufig wiederum dazu, dass nicht deutschstämmige junge Menschen das
Vertrauen zu diesen Organisationen, schließlich auch zu Behörden und Vereinen
insgesamt, verlieren. Damit verbunden sind auch Frustration, Perspektivlosigkeit
und der Verlust der eigenen Motivation.
Wenn viele tausend Jugendliche aus nicht deutschstämmigen Kulturen- und
Herkunftskreisen keine Lehrstelle finden und keine Ausbildungsmöglichkeiten haben,
ist das gesellschaftspolitisch nicht ungefährlich. Diese Jugendlichen werden aus dem
gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und empfinden das Gefühl einer absichtlich
herbeigeführten persönlichen Benachteiligung und Isolation.
Ein solches Gefühl führt oft zu Abkapselung gegenüber den Werten und
Vorstellungen der hiesigen Gesellschaft und möglicherweise sogar zu Hass gegen
diese.
Dadurch entfernt sich dieses Land mit immer höherer Geschwindigkeit von dem Ziel
der Integration und der Liebe zwischen den Menschen. Wenn man sich die Zahlen
der Bildungs- und Kulturprogramme anschaut, stellt man fest, dass zu recht viele
Programme für Aussiedler- und Spätaussiedler bereitgestellt und sehr stark finanziell
gefördert werden.
Hingegen liegt der Anteil für Bildungs- und Kulturprogramme für Migranten aus
nicht EU-Staaten, gerade mal bei 15 Prozent des finanziellen Volumens, das für die
Bildungs- und Kulturprogramme der Aussiedler und Spätaussiedler aufgewendet wird.
Daher sind zwar die Konflikte mit Aussiedlern- und Spätaussiedlern zurückgegangen,
das Konfliktpotential im Zusammenhang mit Migranten aus nicht EU- Staaten,
nimmt hingegen jedoch stetig zu.
Daher bitte ich Sie, nicht nur als Bundespräsident, sondern vor allem auch als
Humanist, Philosoph und Menschenfreund, im Rahmen Ihrer Möglichkeiten darauf
einzuwirken, dass die Angebote im Bildungs- und Kulturbereich für Migranten aus
nicht EU- Staaten, wieder stärker gefördert werden, damit nicht Hass, sondern
Liebe zwischen den Menschen entstehen kann. Denn: „Hass tötet und Liebe lässt leben…“.
Hochachtungsvoll
Dichter und Medienpädegoge