Emine murmelt „Ich bin eine Frau, die Frau eines Einwanderers. Das aus dem
Herzen fließende Glück des Lächelns sollte blühen. Das wäre genauso, wie beim
Lotto 6 Richtige zu treffen.“
Emine war ein fröhlicher Mensch; sie lachte gerne, aber ihre Sorgen ließen sie nicht zur Ruhe kommen, sie wurden von Tag zu Tag größer. Ihr eigener Lebensstil passte weder zu dem, den sie aus dem Fernsehen kannte, noch zu dem der Millionen Menschen in diesem Industrieland.
Am meisten beunruhigte Emine die Berichterstattung der Medien über Angriffe und Brand- anschläge der Skinheads auf Ausländer. ”Seit wann lebe ich mit Laz Ahmed ?” dachte sie und konnte sich nicht daran erinnern. Emine flüsterte vor sich hin :
” Es sollten Ereignisse, auch wenn nie über sie gesprochen wurde, nicht vergessen werden!”
Woran liegt es, dass Rahmet und sie beide nie über den wichtigsten Tag in ihrem Leben gesprochen haben? Was hätte Rahmet denn sein sollen? Als junger Mensch überschätzt man die Ehe und bereut sie tausendmal. Welche Frau würde sich nicht unglücklich fühlen über die türkischen Kneipen, in die ihre Männer regelmäßig gehen.
Sie sagte: ”Die Leute, die diese erfunden haben, sollten blind werden” und warf den Besen, den sie in der Hand hielt, weg.
An jedem Arbeitstag springt Laz Ahmed früh aus dem Bett, nimmt seine Tasche und eilt zur Fa brik. Emine sieht ihm nach und flüstert leise die Worte, wie auf einem Anrufbeantworter:
”Gott gebe Deinen Armen Kraft, vergebe Dir und behüte unsere Kinder.”
Hinterher erinnerte sie sich daran, dass sie von ihrem Mann, für den sie 25 Jahre geputzt, das Essen gekocht und das Bett gemacht, nie gehört hatte: ”Danke Dir ” oder ”Aufwidersehen”. Sie wurde traurig. Ihre Augen bewölkten sich. Man sagt nicht umsonst, ”dass die Männer fremd bleiben, auch wenn sie die Väter unserer Kinder sind.”
Irgend wie waren die Sorgen für Emine heute unerträglich. Ungeduldig wartete sie auf die Rück kehr ihres Mannes, er sollte so schnell wie möglich nach Hause kommen, damit sie ihn noch vor
dem Abendessen sehen konnte. Je mehr die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland zunimmt, um so größer wird Emines Angst. Sie trug sie mit sich herum, ohne sich dessen bewusst zu sein.
In den letzten Tagen wiederholte sie oft:
”Er soll doch nach der Arbeit nach Hause kommen, um wenigstens unsere Kinder zu beschützen, wenn unser Haus angegriffen oder angesteckt wird.. Er ist schließlich ein Mann.“
Zwischen durch wagte sie zu sagen:
”Euer Vater ist süchtig ins Cafe zu gehen, wie können wir das weiterhin nur verhindern?”
Hinterher sagte sie:
”Nein, ich habe nicht das Recht Euren Vater schlecht zu machen!”
Heute war alles anders als sonst. Sie konnte ihre Sorgen nicht mehr verbergen und das Abends Essen für die Kinder zubereiten. Wie eine dumme Ziege ging sie von einem Zimmer in das andere.
Ahmed ging wie gewöhnlich nach der Arbeit ins Cafe und spielte Karten. Wer das Spiel verliert, zahlt den Tee der ganzen Runde.
Emine erinnerte sich an die Ereignisse von Mölln und Hattingen, über die man in den letzten Ta gen im Fernsehen berichtet hatte. Das Marschieren von Skinheads, wie Soldaten, die gegenseitig gen Angriffe von Jugendlichen, das Schreien, die angesteckten Häuser, die hohen Flammen, die Skin-Heads, die Skin-Heads…….
Sie ging zum Telefon und setzte sich, hielt ihren Kopf, der zu
platzen schien, zwischen den Händen. Sie hatte kalte Schweißausbrüche. Emine nahm den Telefonhörer ab. Mit zittrigen Fingern wählte sie die einzige Telefonnummer die sie kannte, die Num
mer des Cafes. Weinend sagte sie zum Kellner:
”Geben Sie mir Laz Ahmet!”
Der junge Kellner rief mit lauter Stimme:
”Laz Ahmet, Du wirst verlangt, Telefon……..!”
”Ich bin es Ahmet, auf der Straße laufen Skin-Heads, komme schnell nach Hause! ”
Ahmet antwortete:
”Das ist unsere letzte Spielrunde, sobald sie zu Ende ist, komme ich nach Hause.”
Ohne Emine Gelegenheit zum Sprechen zu geben, hatte er dann den Hörer aufgelegt. Emine nahm eine Strähne ihres Haares, wickelte es um einen Finger und steckte es in den Mund und kaute darauf wie auf einem Kaugummi. Die Sekunden vergingen so langsam, wie Monate, wie Jahre.
Sie ging und ließ sich in den Sessel fallen und augenblicklich sah sie wieder die Bilder von marschierenden Skin-Heads vor sich.
Sie stand auf und wählte noch einmal die Nummer des Cafes. Als sie die Antwort ”Islamisches Cafe / Teestube” hörte, redete sie wie eine aufgedrehte Uhr folgenden Satz:
”Die Skin-Heads haben unsere Wohnsiedlung angegriffen, sagen Sie Laz Ahmet Bescheid, er soll so schnell wie möglich nach Hause kommen!”
Wieder brach ihr der kalte Schweiß aus. Der Telefonhörer lag wie angeklebt in ihrer Hand, sie konnte ihn nicht auflegen und hörte die Stimme des jungen Kellners:
”Hey, habt Ihr gehört, die Skin-Heads haben begonnen Bodenbrock anzustecken!”
Mit der Ankündigung des Kellners hob Ömer als erster seinen Kopf vom Tisch und augenblicklich überfielen ihn Selbstmordgedanken. Er starrte auf die türkische Fahne, die an der Wand hing.
”All meine Hoffnungen verwelken wie im Frühling Blumen durch die Kälte erfrieren. Seit Jahren klopfe ich täglich an zehn Türen mit er Hoffnung auf Arbeit, sie bleiben versperrt. Ich möchte meine.
Arbeitskraft verkaufen, um mein Brot zu verdienen. Mein Gott, es ist keine Arbeit zu bekommen.
Mein Kismet auf dieser Welt schein versperrt. Als ich arbeitete und Geld verdiente, hatte ich viele Freunde und wurde von meinen Verwandten hochgeschätzt. Als ich arbeitslos wurde, habe ich
von einem Tag zum anderen alles verloren. Nasrettin Hodscha hat nicht umsonst gesagt:
`Iß meinen Pelz, iß.` Aber liebe die Fahne , Ist das Dein Land, das Du vertrittst. Ich war jeder Zeit bereit, für Dich mein Blut zu vergießen und mein Leben zu opfern. Aus diesem Grund habe ich meinen Militärdienst mit Liebe abgeleistet. Du hast Dich um keine Arbeitsstelle bemüht! Du beschütztest uns nicht, als die Einheimischen dieses Landes uns beleidigten und verfolgten. Es wird immer gesagt: ”Nicht zurückkommen! Bleibt dort! Es ist egal wie ihr dort lebt! Überweist uns nur regelmäßig eure Devisen.”
Und noch ” Das Beste ist es, Dich um mich herumzuwickeln, auf meinen Kopf einen Liter Benzin zu gießen, um uns dann anzuzünden. Und zum Schluß möchte ich einen Zug von meiner Zigarette rauchen. Diese letzte Aktion von uns kann vielleicht die Aufmerk.
samkeit der Welt erwecken und für die zurückgebliebene Generation eine Chance bedeuten.”
Nach der Nachricht des Kellners stand Ömer auf und schrie:
”Wer ein Mann , ein Muslim ist, in seinem Körper ein bisschen türkisches Blut fließt, soll mit mir mitkommen. Reicht es nicht, was sie mit uns machen? ”
Alle Anwesenden haben ihre Spielkarten auf die Tische geschmissen. Back-Gammon-Bretter wurden eiligst zugeklappt. Alle standen auf. Jeder hat seinen Stuhl , auf dem er draufsaß, unter seine Füße genommen und ein Stuhlbein abgerissen. Der Cafe-Besitzer konnte sich nicht entscheiden, wie er sich verhalten sollte. Er schimpfte mit seinem Kellner aber er äußerte seine richtige Wut nicht.
Die Männer rannten zu ihren Autos. Die Leute, die kein Auto hatten, sagten ihren Freunden ”Gott sei Dank, ich bin auch ein Muslim und Türke.”
In ein paar Minuten überquerten hinterein- ander mindestens 20 Autos die Straße. Die Ampel stand auf Rot. Die Polizei verfolgte diese rasenden Autos und hielt Hassan an der Seite an. Der Polizist
sagte:
”Was ist los mit Ihnen? Sie haben den ganzen Straßenverkehr durcheinander gebracht! Geben Sie mir Ihren Führerschein!”
Und Hassan antwortete in Ruhe:
”Worauf warten Sie noch? Die Skin-Heads haben Bodenbrock überfallen! Sie plündern. Anstatt uns zu verfolgen, versuchen Sie doch die Skin-Heads zu verhaften.”
Dann gab er mit seinem Auto Vollgas und fuhr einfach weiter. Der Polizeibeamte war total überrascht . Er benachrichtigt die Polizeizentrale. Ein Polizeiomnibus fuhr zur gleichen Zeit nach
Bodenbrock. Die Leute, die zu diesem Stadtteil gekommen sind, fragten sich untereinander:
”Wo sind die Skin-Heads? In welcher Richtung sind sie geflohen.? Ich vermute, sie sind in diese Richtung geflohen. Nein, nein, sie sind in die andere Richtung geflohen! ”
Der Vorsitzende des Bektasi-Vereins, Murat, kam in diesen Minuten von der Arbeit. Als er die angesammelte Menschenmenge sah, ging er in diese Richtung und hörte zu, was die Leute sprachen. In seinem humanen Verhalten sagte er:
”Ach, die Leute! Die Skin-Heads sollt ihr nicht hier suchen, sondern im Bundestag ” und ging ganz ruhig nach Hause.
Ahmet aus Kütahya sagte:
”Sind sie Dämonen oder Teufel? Sie sind so schnell verschwunden.”
Emine hörte türkische Gespräche auf der Straße, ging zum Fenster und machte es langsam auf.
Von oben schaute sie herunter. Danach ging sie leise zu den Frauen auf der Straße, die in einer Ecke zusammenstanden.
”Was ist passiert, haben die Skin-Heads das Wohnviertel überfallen?” Mit einer tiefen Stimme antwortete Ayse
”Ich weiß es nicht, Schwester. Die Leute sagen so………”
Semiya mischte sich ein.
”Wir haben Angst, Schwester, wir haben Angst, dass sie unsere Kinder umbringen und wir können sie nicht schützen. Wir haben auch Angst, unsere Kinder alleine zum Einkaufen zu schicken.”
”Ja, Mutter, wie stark ist unsere Angst, seit die Ereignisse in Mölln kann ich nicht mehr schlafen.
Wenn ich ein bisschen einschlafe, träume ich schreckliche Dinge. Mein Mann nimmt diese Ereignisse nicht so ernst. Er sagt:
”Die Angst schützt nicht vor dem Tod.” Er schläft ganz ruhig……….”
”Es ist klar, sie sind Männer…. Sie gehen jeden Tag vor der Arbeit und nach der Arbeit ins Cafe.
Vom Cafe ins Bett. Die Kinder und die Frauen sind voller Angst. Das interessiert die Männer nicht.”
”Es ist nicht so meine Schwester , sie sind doch auch Väter. Es ist nicht so einfach in der Fabrik oder im Bergwerk zu arbeiten. Sie sterben vor Müdigkeit nach der Arbeit ……”
”Du meinst Ilknur, als ob alle Männer wie Dein Mann sind. Wie oft geht Dein Mann in ein Cafe im Jahr. Er beschäftigt sich jederzeit nur mit Dir und Euren Kindern, aber unsere Männer? ”
Ralf beobachtet am Fenster im 3. Stock die Ereignisse auf der Straße. Er zog einen Bleistift aus der Hosentasche und zeichnete ein Hakenkreuz auf die Schulter von Norbert, der auf ihn zuging
und dann bei ihm stand. Dann sagte er mit glücklicher Stimme:
”Endlich haben wir es geschafft. Niemand kann nunmehr diese Entwicklung verhindern. Niemand kann unsere weiteres Vorgehen verhindern.”
”Welche Entwicklung?”
Mit dem Kopf zeigte er auf die versammelten Menschen auf der Straße und auf die Polizisten, die die Ausweise der Menschen auf der Straße kontrollierten.
”Nun, jeder hat Angst. Die Leute, die schwach sind, kommen zu uns. Wir nahe dran, unser Ziel zu erreichen. Dieses Mal werden wir siegen……”
Er konnte seinen Satz nicht zu Ende bringen als er sah, dass ca. 10 blondhaarige Kinder um die Ecke der Straße bogen. In ihren Händen hielten sie viele Blumen. Die Kinder hatten angefangen, den dunkelhaarigen Männern mit langen Schnurrbärten und den verhornten Händen, den Frauen mit den schwarzen Haaren, die bis auf die Schultern wallen, die Blumen zu verschenken. Die blauen Augen der Kinder leuchteten wie Sterne, als die Menschen ihnen die Wangen und Haare streichelten.
Ralf geriet in Atemnot. Die Worte blieben ihm im Halse stecken und er wurde weiß wie die Wand…….

von buch Der Traum der Liebe ( Sevgi)
Sanatyapım Yayınları . Ankara
Verlag Anadolu
Hückelnhoven- Deutschland